Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18.03.2025 die Klage des AfD Landesverbands Baden-Württemberg gegen seine Beobachtung durch das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg und die öffentliche Bekanntgabe dieser Beobachtung abgewiesen (Az.: 1 K 20/25).
Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg erhob den AfD Landesverband Baden-Württemberg am 13.07.2022 als Verdachtsfall zum Beobachtungsobjekt. Am 14.07.2022 veröffentlichte es anlässlich der Bekanntgabe des baden-württembergischen Verfassungsschutzberichts eine Pressemitteilung, in der es die Beobachtung öffentlich bekanntgab.
Dagegen wandte sich der AfD Landesverband Baden-Württemberg an das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg und forderte, die Maßnahmen zu beenden, die entsprechenden Mitteilungen zu löschen, entsprechende (in die Zukunft gerichtete) Unterlassungserklärungen abzugeben sowie die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen mittels öffentlicher Richtigstellung einzuräumen. Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg reagierte hierauf nicht.
Mit Schriftsatz vom 12.01.2023 hat der AfD Landesverband Baden-Württemberg Klage gegen seine Beobachtung sowie die öffentliche Bekanntgabe derselben erhoben und zugleich einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Diesen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart mit Beschluss vom 06.11.2023 abgelehnt (Az.: 1 K 167/23). Hiergegen hat der AfD Landesverband Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eingelegt und die Beteiligten haben mit Blick auf die in diesem Verfahren ausstehende Entscheidung das Klageverfahren zum Ruhen gebracht. Der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg hat die Beschwerde des AfD Landesverbands Baden-Württemberg mit Beschluss vom 06.11.2024 zurückgewiesen (Az.: 1 S 1798/23). Mit Schriftsatz vom 02.01.2025 hat der AfD Landesverband Baden-Württemberg die Wiederaufnahme des ruhenden Klageverfahrens beantragt.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Klage des AfD Landesverbands Baden-Württemberg ist im Wesentlichen zulässig, jedoch nicht begründet.
Die offene Beobachtung des Klägers durch den Verfassungsschutz erfolgt zu Recht, weil die hierfür notwendigen tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Beschlüsse der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 06.11.2023 (Az.: 1 K 167/23) sowie des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 06.11.2024 (Az.: 1 S 1798/23) verwiesen und ergänzend ausgeführt: Es bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger einen verfassungswidrigen Volksbegriff verfolgt. Die Anknüpfung an Merkmale wie Herkunft und Rasse verstößt gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG und führt zu einer weitgehenden Rechtlosstellung von Personen, die nicht Teil des nach ethnischen Kriterien bestimmten Volks sind (vgl. nur das Konzept der „Remigration“). Es bestehen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass das Eintreten für einen völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff mit einer gegen den Schutz der Menschwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG verbundenen, an die ethnische Abstammung anknüpfenden Diskriminierung einzelner Personen oder Personengruppen einhergeht. Zudem bestehen Anhaltspunkte für ein Verhalten des Klägers, die Würde von Menschen islamischer Glaubensrichtungen außer Geltung zu setzen.
Die in den Eilbeschlüssen der Kammer und des Verwaltungsgerichtshofs angeführten Äußerungen, etwa zum „großen Volksaustausch“ oder zur „Umvolkung“, können auch dann berücksichtigt werden, wenn sie gegebenenfalls von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Denn der Verfassungsschutz darf aus Meinungsäußerungen und sonstigen Aktivitäten Schlüsse ziehen. Die Frage der strafrechtlichen Relevanz der infrage stehenden Äußerungen ist davon zu trennen. Es sind auch keine anderen Deutungsmöglichkeiten der in den Beschlüssen genannten Äußerungen ersichtlich.
Einer wertenden Gesamtbetrachtung stehen weder die Verwendung teilweise geschwärzter nachrichtendienstlicher Akten noch die Behauptung, dass die zugrundeliegenden Äußerungen durch „digitale Agenten“ bzw. V-Leute provoziert worden sein könnten, entgegen. Dass sich aus den geschwärzten Aktenteilen für den Kläger entlastende Aspekte ergeben, die sich in einer Gesamtbetrachtung zu seinen Gunsten auswirken könnten, ist nicht ersichtlich. Es bestehen weiterhin keinerlei Anhaltspunkte, dass konkrete Aussagen durch V-Leute bzw. „digitale Agenten“ provoziert wurden.
Ansatzpunkte dafür, dass der Kläger den Äußerungen in irgendeiner Form durch eine inhaltliche Distanzierung entgegengetreten ist oder die Äußerungen durch Entwicklungen in der AfD überholt oder aus sonstigen Gründen obsolet geworden sind, sind nicht hinreichend benannt. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung getätigten Äußerungen zur „Hochdorf-Aktion“ mit Aufklebern der AfD-Landtagsfraktion („Nett hier. Aber sind Sie nicht ausreisepflichtig?“) gegenüber Mitarbeitern einer Autowerkstatt mit Migrationshintergrund, zur „Karlsruher Aktion“ („Abschiebetickets“ in Briefkästen von Mitbürgern mit möglicherweise Migrationshintergrund) und zum „Abschiebekalender“ (zur Aufforderung von Mitbürgern mit Migrationshintergrund zur Ausreise; „Die 12 schönsten Abschiebeflieger“, „Deutschland zuerst heißt Remigration“) führen nicht dazu, dass von den bislang streitgegenständlichen Inhalten eine Distanzierung ersichtlich ist.
Die Klage ist ebenfalls unbegründet, soweit sich der Kläger gegen die Bekanntgabe wendet, dass er zum Verdachtsfall erklärt wurde. Einer vorherigen Anhörung bedurfte es nicht, weil eine solche im Landesverfassungsschutzgesetz nicht vorgesehen und auch verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten ist.
Die Berufung war insbesondere deshalb zuzulassen, weil der nicht abschließend geklärten Frage, ob ein Betroffener vor Bekanntgabe der Erklärung zum Verdachtsfall anzuhören ist, grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Hintergrundinformation zum Verfahren:
Die Beschlüsse der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 06.11.2023 (Az.: 1 K 167/23) und des 1. Senats des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 06.11.2024 (Az.: 1 S 1798/23) sind in anonymisierter Form kostenfrei unter https://www.landesrecht-bw.de abrufbar.