Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart hat mit Beschlüssen vom 20. Februar 2017 zwei Eilanträge von Nachbarn (Antragsteller) abgelehnt, mit denen sich diese gegen eine Baugenehmigung des Landratsamtes Esslingen vom 08.09.2016 für den Umbau eines bestehenden Büro- und Fertigungsgebäudes in der Höllochstraße in der Gemeinde Lenningen in eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge und den Neubau dazugehöriger Sozial- und Büroräumen mit Garage gewandt hatten (Az.: 2 K 6115/16 und 2 K 6354/16).
Der Beigeladene, ein privates Unternehmen, hatte im Juni 2016 beim Landratsamt Esslingen die Genehmigung des Vorhabens beantragt. Das Baugrundstück und die Grundstücke der Antragsteller liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Gewerbegebiet Oberer Sand“ der Gemeinde Lenningen von 1985, der für alle drei Grundstücke ein beschränktes Gewerbegebiet festsetzt, wonach nur Gewerbebetriebe zulässig sind, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Das Landratsamt erteilte dem Unternehmen die Genehmigung mit Bescheid vom 08.09.2016 unter Gewährung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes zur Art der baulichen Nutzung.
Die Antragsteller, die auf ihren Grundstücken Gewerbe betreiben, haben gegen die Baugenehmigung Widerspruch erhoben und am 07.10.2016 bzw. 28.09.2016 beim Verwaltungsgericht Stuttgart jeweils einen Eilantrag gestellt. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen geltend gemacht, dass das Vorhaben ihren Gebietserhaltungsanspruch verletze; zudem sei es sowohl aus Gründen des Brandschutzes als auch im Hinblick darauf, dass es ihnen erlaubt sei, erheblichen Lärm abzustrahlen, rücksichtslos.
Den Einwendungen der Antragsteller ist das Gericht nicht gefolgt. Zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidungen hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Das Vorhaben des Beigeladenen verletze den Gebietserhaltungsanspruch der Antragsteller voraussichtlich nicht, weil es im eingeschränkten Gewerbegebiet auf Grund einer rechtmäßig erteilten Befreiung zulässig sei. In einem eingeschränkten Gewerbegebiet seien Flüchtlingsunterkünfte als soziale Einrichtung mit wohnähnlichem Charakter zwar weder regelmäßig noch - nach überwiegender Auffassung - ausnahmsweise zulässig. Dem habe das Landratsamt aber durch Erteilung einer Befreiung nach § 246 Abs. 10 des Baugesetzbuches Rechnung getragen. Nach dieser im Jahr 2014 eingefügten Bestimmung könne in Gewerbegebieten für Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende bis Dezember 31.12.2019 von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn an dem Standort Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden könnten oder allgemein zulässig seien und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar sei. Hiervon dürfte vorliegend auszugehen sein. Insbesondere verstoße das Vorhaben des Beigeladenen voraussichtlich weder aus Gründen des Brandschutzes noch des Immissionsschutzes gegen das im Merkmal der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltene Gebot der Rücksichtname gegenüber den Antragstellern.
Soweit die Antragsteller geltend machten, dass in Flüchtlingsunterkünften ein erhöhtes Brandrisiko bestehe, was sich auf den Gewerbetrieb auswirken könne, werde auf eine ordnungswidrige Nutzung (Wegwerfen brennender Zigaretten) und auf strafbare Handlungen (Inbrandsetzen der Unterkunft durch Dritte) abgestellt. Strafbare Handlungen, die mit dem bestimmungsgemäßen Gebrauch einer baulichen Anlage nichts zu tun hätten, könnten aber im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme regelmäßig keine Berücksichtigung finden.
Im Hinblick auf Immissionskonflikte sei das Gebot der Rücksichtnahme zwar unter anderem auf die wechselseitige Vermeidung oder deren Minderung angelegt. Bei einem zu einer bestehenden Bebauung hinzutretenden Vorhaben seien daher nicht nur die von diesem neuen Vorhaben hervorgerufenen Immissionen zu prüfen, sondern es sei ebenso zu untersuchen, welchen Immissionen es seinerseits von einer vorhandenen Anlage ausgesetzt sei. Das habe vor allem zu gelten, wenn - wie hier - eine immissionssensible Bebauung an bestehende bestandsgeschützte emittierende Gewerbebetriebe "heranrücke". Ein an einen bestehenden bestandsgeschützten Gewerbebetrieb heranrückendes Vorhaben könne "rücksichtslos" sein, wenn seine Zulassung geeignet sei, erstmalige oder weitergehende immissionsschutzrechtliche Auflagen von gewissem Gewicht für den bestehenden Gewerbebetrieb auszulösen. Das lasse sich hier jedoch nicht ausreichend erkennen. Die Einwirkungen durch die Gewerbebetriebe der Antragsteller auf andere Grundstücke seien im eingeschränkten Gewerbegebiet auf die Immissionsrichtwerte für Mischgebiete begrenzt. Da für eine in einem eingeschränkten Gewerbegebiet zugelassene Unterkunft gelten dürfte, dass sie immerhin den in dieser Gewerbegebietsform geltenden „Schutzgrad“, d.h. die Einhaltung der für ein Mischgebiet geltenden Richtwerte fordern könne, hätten die Antragsteller keine weitergehenden Einschränkungen als bisher zu befürchten. Dass eine in der Nachbarschaft umgenutzte oder errichtete Flüchtlingsunterkunft geringere Lärmimmissionen als die für ein Mischgebiet geltenden Richtwerte verlangen könnte, sei ungeachtet dessen, wie die Fenster der Unterkunft ausgerichtet seien, in keiner Weise ersichtlich.
Gegen diese Beschlüsse ist die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim gegeben, die innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung eingelegt werden kann.