Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart hat mit Beschluss vom 22. September 2022 auf Antrag der Achgut Media GmbH (Antragstellerin) das Land Baden-Württemberg (Antragsgegner) im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, es zu unterlassen, sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter oder sonst öffentlich wie in auf dem Kurznachrichtendienst Twitter veröffentlichten Tweets des Antisemitismusbeauftragten des Landes vom 29. Juni 2022 zu äußern, soweit darin die Aussagen „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ und „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ getroffen werden. Im Übrigen hat sie den Eilantrag abgelehnt (Az.: 1 K 3675/22).
Der Antisemitismusbeauftragte des Landes äußerte sich am 29. Juni 2022 auf dem Kurznachrichtendienst Twitter über seinen offiziellen Twitter-Account wie folgt:
„Dr. Michael Blume begrüßte die Entscheidung von @AudiOfficial, nach ,Gastbeiträgen‘ des Verschwörungsmythologen #Homburg nicht länger Werbeanzeigen auf #achgut zu schalten. ,Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden. Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen. Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.‘, dankte Dr. Michael Blume in Stuttgart für die Entscheidung.“
Vorausgegangen war, dass seitens der Audi AG, offensichtlich in Reaktion auf einen anonymen Tweet, über das Werbetechnologieunternehmen, mit dem die Antragstellerin zusammenarbeitete, keine Werbeanzeigen mehr auf der Internetseite der Antragstellerin geschaltet wurden. Die Antragstellerin sieht sich durch die Äußerungen des Antisemitismusbeauftragten in ihren Grundrechten auf Pressefreiheit, Chancengleichheit und Berufsausübungsfreiheit sowie in ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht verletzt. Die Veröffentlichung stelle eine offizielle staatliche Verlautbarung dar, die als Aufruf zum wirtschaftlichen Boykott und als schwerwiegende Diffamierung des von ihr betriebenen Mediums „Achse des Guten“ zu bewerten sei. Nachdem der Antragsgegner die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung vorprozessual abgelehnt hatte, stellte die Antragstellerin den streitgegenständlichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Zur Begründung ihrer Entscheidung hat die 1. Kammer ausgeführt, dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sei, weil die Äußerungen in Ausübung der öffentlichen Aufgaben des Antisemitismusbeauftragten erfolgt seien. In der Sache seien die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nur hinsichtlich der Aussagen „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ und „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ gegeben. Insoweit sei die Antragstellerin im Schutzbereich der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und des ihr als Personenmehrheit zustehenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) durch hoheitliches Handeln des Antragsgegners rechtswidrig beeinträchtigt worden und habe eine Wiederholung der Beeinträchtigung zu besorgen. Hingegen bestehe für die Äußerungen „Dr. Michael Blume begrüßte die Entscheidung von @AudiOfficial, nach ,Gastbeiträgen‘ des Verschwörungsmythologen #Homburg nicht länger Werbeanzeigen auf #achgut zu schalten“ und „Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden.“ kein Unterlassungsanspruch.
Für die Aussage „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ fehle bereits die erforderliche gesetzliche Grundlage. Der Antragsgegner könne sich insoweit nicht auf seine verfassungsunmittelbare Aufgabe der Staatsleitung stützen, weil die Aussage – anders als die übrigen Aussagen – nicht nur eine mittelbar-faktische Wirkung mit Eingriffsqualität entfalte, sondern als funktionales Äquivalent für einen klassischen Grundrechtseingriff zu qualifizieren sei. Aus Sicht eines verständigen Bürgers ziele der Antisemitismusbeauftragte mit der Aussage darauf ab, dass potentielle Werbekunden davon absehen, Werbeanzeigen auf der Internetseite der Antragstellerin zu schalten, und ermögliche und fördere damit unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität seines Amts konkrete Schritte gegen die Antragstellerin. Nach ihrem Inhalt und Zweck stelle die Aussage sich als typisches auf den Einzelfall bezogenes Verwaltungshandeln dar, das dem Rechtsgüterschutz durch Bekämpfung angenommener Gefahren diene.
Die Aussage „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ sei ebenfalls rechtswidrig, weil sie gegen das Sachlichkeitsgebot verstoße. Dieses Gebot verlange, dass eine amtliche Äußerung in einem konkreten Bezug zur Erfüllung der hoheitlichen Aufgaben des Äußernden stehe, auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhe und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreite. Vorliegend habe der Antragsgegner keine ausreichenden sachlichen Anhaltspunkte dafür dargetan, dass der Antisemitismusbeauftragte die Meinung vertreten und äußern dürfe, dass Autoren, die Beiträge auf der Internetseite der Antragstellerin veröffentlichten, „rassistische“ oder „demokratiefeindliche“ Positionen vertreten.
Demgegenüber wiesen die beiden übrigen Äußerungen „Dr. Michael Blume begrüßte die Entscheidung von @AudiOfficial, nach ,Gastbeiträgen‘ des Verschwörungsmythologen #Homburg nicht länger Werbeanzeigen auf #achgut zu schalten“ und „Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden“ ohne Weiteres einen konkreten Bezug zur Erfüllung der hoheitlichen Aufgabe des Antisemitismusbeauftragten, die Gesellschaft für aktuelle Formen des Antisemitismus durch Öffentlichkeitsarbeit zu sensibilisieren, auf und verletzten weder das Sachlichkeitsgebot noch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zum einen habe der Antragsgegner verschiedene auf der Internetseite der Antragstellerin veröffentlichte Beiträge vorgelegt, die es rechtfertigten, dass der Antisemitismusbeauftragte die Meinung vertreten und äußern dürfe, dass der Zentralrat der Juden und er selbst in diesen Beiträgen „persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden“ seien. Zum anderen träfen die Tatsachenbehauptungen, die Audi AG habe entschieden, keine Werbeanzeigen mehr auf der Internetseite der Antragstellerin zu schalten, und dass dieser Entscheidung Gastbeiträge von Prof. Dr. Homburg auf der Internetseite der Antragstellerin zeitlich vorauslagen, sachlich zu, sowie halte sich das Prof. Dr. Homburg zugeschriebene Werturteil „Verschwörungsmythologe“ im Rahmen des sachlich Gebotenen, weil es auf einem im Wesentlichen zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhe. Angesichts dessen sei auch nicht zu beanstanden, dass der Antisemitismusbeauftragte die Entscheidung der Audi AG, keine Werbeanzeigen mehr auf der Internetseite der Antragstellerin zu schalten, „begrüßt“. Denn er dürfe sich ohne Bindung an ein Neutralitätsgebot auch lobend zu den Werbeaktivitäten eines Wirtschaftsunternehmens äußern, wenn dies auf hinreichender Tatsachenbasis sachbezogen mit dem legitimen Ziel erfolge, die Finanzierung der Verbreitung von Verschwörungsmythen auf der Internetseite eines Medienunternehmens aufzudecken, und die Ebene eines sachlichen, rationalen Diskurses nicht verlassen werde.
Gegen den Beschluss ist die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim gegeben, die innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe einzulegen ist.