Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden, dass die Beobachtung des AfD Landesverbands Baden-Württemberg durch das das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg sowie deren öffentliche Bekanntgabe voraussichtlich rechtmäßig sind und den entsprechenden Eilantrag mit Beschluss vom 06.11.2023 abgelehnt (Az. 1 K 167/23).
Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg erhob den AfD Landesverband Baden-Württemberg am 13.07.2022 als Verdachtsfall zum Beobachtungsobjekt. Am 14.07.2022 veröffentlichte es anlässlich der Bekanntgabe des baden-württembergischen Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2021 eine Pressemitteilung, in der es die Beobachtung öffentlich bekanntgab.
Dagegen wandte sich der AfD Landesverband Baden-Württemberg mit Schreiben vom 16.11.2022 an das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg und fordert, die Maßnahmen zu beenden, die entsprechenden Mitteilungen zu löschen, entsprechende (in die Zukunft gerichtete) Unterlassungserklärungen abzugeben sowie die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen mittels öffentlicher Richtigstellung bis zum 24.11.2022 um 14 Uhr einzuräumen. Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg reagierte hierauf nicht.
Mit Schriftsatz vom 12.01.2023 hat der AfD Landesverband Baden-Württemberg daraufhin Klage gegen seine Beobachtung sowie die öffentliche Bekanntgabe derselben erhoben (Az.: 1 K 166/23) und zugleich einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt (Az.: 1 K 167/23).
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Der Antrag des AfD Landesverbands Baden-Württemberg ist im Wesentlichen zulässig, jedoch unbegründet.
Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg beobachtet den AfD Landesverband Baden-Württemberg nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung zu Recht. Hinsichtlich des Landesverbandes bestehen nach einer wertenden Gesamtbetrachtung sowohl zum Zeitpunkt der Aufnahme der Beobachtung am 13.07.2022 als auch danach tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Diese gründen sich auf Verhaltensweisen, die darauf gerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Ausprägung der Menschenwürde im Sinne des Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes außer Geltung zu setzen.
Es bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass eine zentrale politische Vorstellung innerhalb des AfD Landesverbands Baden-Württemberg der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand ist und ethnisch „Fremde“ nach Möglichkeit ausgeschlossen bleiben sollen. Ein dergestalt völkisch-abstammungsmäßiger Volksbegriff verstößt gegen die Menschenwürde, die die prinzipielle Gleichheit aller Menschen umfasst. Sie wird ebenso beeinträchtigt bei allen Formen rassisch motivierter Diskriminierung als auch in Fällen, in denen einzelne Personen oder Personengruppen andere wie „Menschen zweiter Klasse“ behandeln. Das Eintreten für eine restriktive Einwanderungspolitik ist für sich genommen verfassungsschutzrechtlich unbeachtlich. Wenn in diesem Zusammenhang allerdings das erklärte politische Ziel propagiert wird, das deutsche Volk in seinem ethnisch-kulturellen Bestand zu erhalten, kann dies einen Anhaltspunkt für ein ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis begründen. Anhaltspunkte für einen ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff können sich darüber hinaus ergeben, wenn mit den Begriffen „Umvolkung“, „Volkstod“, „Völkermord“, „Großer Austausch“ oder ähnlichen Umschreibungen die Vorstellung transportiert werden soll, wonach das ethnisch homogene deutsche Volk durch den Zuzug von Ausländern unterzugehen drohe und in seiner Existenz gefährdet sei. Auch sich an diese Vorstellungen anschließende Forderungen nach einer umfassenden „Remigration“ oder einer „Reconquista“, die die Ausweisung großer Teile der Bevölkerung zur Folge hätten, weisen auf ein völkisches Konzept hin. Entsprechende Anhaltspunkte können zudem vorliegen, wenn die pluralistische Gesellschaft per se ohne sachlichen Bezug als existenzielle Gefahr und als Grundübel für das ethnisch-kulturell als Einheit verstandene deutsche Volk dargestellt wird oder anknüpfend an die ethnische Abstammung zwischen zwei Klassen deutscher Staatsbürger unterschieden wird. Auch Forderungen nach einer vollständigen Assimilierung von Migranten „an die autochthone deutsche Bevölkerung“ stellen Anhaltspunkte für ein verfassungsfeindliches ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis dar.
Es liegen des Weiteren tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Verhaltensweisen des AfD Landesverbands Baden-Württemberg darauf gerichtet sind, die Würde von Menschen islamischer Glaubensrichtungen außer Geltung zu setzen. Hierzu gehört die undifferenzierte, agitatorisch angelegte Zuweisung der Verantwortlichkeit für Missstände an diese Personengruppe, die − insbesondere in Verbindung mit erniedrigenden Bezeichnungen oder unangemessenen und unhaltbaren Vergleichen − den Zweck verfolgt, beim Zuhörer Hass oder Neidgefühle hervorzurufen. Gleichermaßen einzuordnen sind Äußerungen, die dazu geeignet sind, bei potentiellen Wählerinnen und Wählern ebenso wie in der Bevölkerung allgemein Sozialneid zu schüren, Abwehr und Unbehagen hervorzurufen sowie eine ablehnende, wenn nicht feindliche Haltung gegenüber Muslimen zu begründen oder zu festigen und letztlich Angst und Hass ihnen gegenüber zu schüren.
Vor diesem Hintergrund begegnet auch die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Beobachtung des AfD Landesverbands Baden-Württemberg durch das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg keinen Bedenken.
Hintergrundinformation zum Verwaltungsgericht Stuttgart:
Das Verwaltungsgericht Stuttgart ist im Regierungsbezirk Stuttgart erstinstanzlich für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zuständig, soweit sie nicht ausdrücklich anderen Gerichten zugewiesen sind. Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts erstreckt sich also fast ausschließlich auf solche Streitigkeiten, die sich auf das Verhältnis des Bürgers zum Staat beziehen, soweit dieser gegenüber dem Bürger als Träger hoheitlicher Gewalt handelt. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, für die die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig ist, sind etwa Streitigkeiten aus dem kommunalen Abgabenrecht, Asyl- und Ausländerrecht, Atomrecht, Baurecht, Beamtenrecht, Gewerbe und Gaststättenrecht, Hochschulrecht, Immissionsschutzrecht, Jugendhilferecht, Kommunalrecht, Luftverkehrsrecht, Polizeirecht, Schulrecht, Straßenrecht, Subventionsrecht, Versammlungsrecht und Wohngeldrecht.